„Vielfalt ist wertvoll“ lautet eine vielerorts anzutreffende Auffassung, die auf unterschiedlichste Lebensbereiche Anwendung findet. Sei es, dass in größeren Städten die Internationalität eines gastronomischen und kulturellen Angebots goutiert wird, sei es, dass im politischen Meinungskampf „Vielfalt statt Einfalt“ herrschen soll, oder Lokalpolitiker und Konzernlenker die Anwesenheit von Angehörigen vieler Nationen als Bereicherung des Alltags und der Wirtschaft preisen. „Soziokulturelle Vielfalt“, liest man in einer Veröffentlichung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sei ein wesentlicher Motor für gesellschaftliche Entwicklung; Vielfalt wird im gleichen Text zum grundlegenden Prinzip von Natur, Kultur und Gesellschaft erklärt. Dass aus gesellschaftstheoretischer Perspektive das umstandslose Schließen von Ökosystemen der Natur auf soziale Systeme problematisch sein könnte, wird nicht erwähnt.
Vielfalt als politisches Programm
Mit dem Ende der Ost-West-Systemkonkurrenz wurden die auf ganzheitliche Erklärungen zielenden Gesellschaftstheorien, „die großen Erzählungen“, in Frage gestellt, die Aufkündigung überlieferter Ordnungs- und Normalitätsvorstellung nobilitierte Pluralität und Differenz. Durch die sozialen Bewegungen der 1970er und –80er Jahre wurden auch die Anliegen von Minderheiten und Randgruppen zu politischen Konzepten gebündelt, es entstand die Kultur der Inklusion, das Konzept der Diversität verschaffte sich auf vielen Ebenen Geltung. Im Nationalen Integrationsplan von 2007 wird eine nachhaltige Integrationspolitik gefordert, die „den Beitrag der Migranten zum Wohlstand und der gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt“ anerkennen und fördern soll. Das Narrativ der Vielfalt scheint die Nachfolge der – als normative Idee – in Misskredit geratenen Formulierung von der multikulturellen Gesellschaft anzutreten.
Zukunft wichtiger als Herkunft
Nicht überraschend daher, dass gerade unter Migrationsexperten die zum Modewort avancierte Diversität zunehmend in die Kritik gerät. Diversitätspolitik habe nämlich den Nachteil, so der Soziologe Paul Scheffer, dass sie oft Stereotypen verstärke. Man solle Menschen weniger nach ihrer Herkunft beurteilen, als nach ihrer Zukunft befragen. Eine Immigrationsgesellschaft stehe und falle mit der Fähigkeit ihrer Bürger, über ethnische Trennlinien hinwegzusehen. Der Migrationsökonom Paul Collier fasst die Ergebnisse aus zahlreichen internationalen Studien dahingehend zusammen, dass kulturelle Diversität eine wesentliche Ursache für den Rückgang an Mitgefühl und reduzierter Bereitschaft zur Solidarität in einer Gesellschaft seien. Er kommt daher zu dem Schluss, dass eine grundlegende Bestimmungsgröße der Migration nicht die Migrationsrate selbst sein sollte, sondern das Ausmaß der Vielfalt. Je weiter der kulturelle Abstand zur aufnehmenden Gesellschaft, desto kleiner sei die Absorptionsrate der Auslandsgemeinde und infolge dessen auch die notwendige (soll heißen: optimale) Migrationsrate.
Diversität schwächt Solidarität
Auch der Harvard-Sozialwissenschaftler Robert David Putnam befürchtet, ein politisch-korrekter Fortschrittsglaube könne die Herausforderungen leugnen, die sich für die soziale Solidarität aus der Diversität ergibt. Dazu passen die Befunde einer aktuellen Untersuchung zweier Kölner Soziologen (Czymara/Schmidt-Catran) aus dem letzten Jahr zur Akzeptanz der Einwanderung. Demnach ist diese bei knapp 1000 Befragten höher, wenn die Einwanderer aus Ländern kommen, die Deutschland kulturell, sprachlich und religiös nahestehen. Aus alledem folgt: Wenn die Parole „je bunter, desto besser“ empirisch fragwürdig ist, sind sozialromantische Visionen eher hinderlich dabei, die Chancen der realen Vielfalt unserer Gesellschaft realistisch einzuschätzen.
Ein Goethe`scher Aphorismus kommt in den Sinn: „Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen
Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt.“
Red.: LLL/Bernd Eckhardt
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