„Nicht ohne meine Burka“

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Vollverschleierung in Bildungseinrichtungen?

BurkaUm es vorweg zu nehmen, die Antwort lautet: nein! Aber nicht deshalb, weil bereits ein deutsches Gericht – der bayerische Verwaltungsgerichtshof – den Ausschluss einer Burka-Trägerin aus einer Berufsoberschule juristisch abgesegnet hat. Nicht alles was Recht ist, wird bekanntlich auch als richtig empfunden; in diesem Delta zwischen Recht und Rechtsempfinden ist so mancher Wutbürger zu sich selbst gekommen. Das o. g. Gericht bestätigte die Schule, die auf dem „Grundsatz offener  Kommunikation der Unterrichtsgestaltung“ bestanden hatte. Die Gießener Universität befand einen Monat später, dass die Ablegung des Schleiers in der Lehrveranstaltung „für die notwendige Kommunikation unentbehrlich“ sei. Worum geht es im Kern?

Bildungsveranstaltungen leben von und bestehen aus einer Vielzahl von kommunikativen Handlungen. Kommunikation findet bekanntlich nicht nur auf verbaler Ebene statt, sondern in hohem Maße nonverbal. Verbale und nonverbale Botschaften korrespondieren miteinander, bestätigen oder dementieren sich wechselseitig. Aus Körperhaltung und Gesichtsausdruck lesen wir persönliche Befindlichkeiten ab und ziehen Rückschlüsse auf Denken und Fühlen unserer Gesprächspartner. Der Gesichtsschleier erschwert nicht nur die Kontaktaufnahme, sondern verhindert eine gleichberechtigte Kommunikation. Die eine kann in dem Gesicht der anderen lesen, aber nicht umgekehrt. In diesem Sinne kann von einer grundlegenden Störung eines kommunikationsbasierten Bildungsprozesses in einer Gruppe gesprochen werden.

Die Asymmetrie der Kommunikation setzt sich fort in der Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten. Es ist wohl unrealistisch anzunehmen und bisher nicht bekannt, dass Mitschüler/ Mitstudenten bzw. das Lehrpersonal befragt werden, ob sie gewillt sind, sich der o. a. befremdlichen Situation auszusetzen. Und wie wäre eine solche Abstimmung auch zu organisieren? Die Abwägung zwischen einem  „Recht“ auf Verhüllung (solange Burka-Tragen in der Öffentlichkeit nicht verboten ist) und dem Anrecht auf Transparenz/ Offenheit ist vorab andernorts vorzunehmen. Anders formuliert: Es muss begründet werden, wem man welche Zumutung warum abverlangen möchte.

Dazu ist es u. a. nötig, sich die Burka/Niqab-Trägerinnen näher anzusehen und einem naheliegenden Kurzschluss vorzubeugen. Meist handelt es sich eben nicht um geknechtete und unterdrückte Frauen, die man aus einem bildungsfernen Milieu mit Samthandschuhen herausholen müsste. Es sind vielmehr oft hochgebildete, kosmopolitische versierte Frauen, die so viel Souveränität besitzen, auch ohne Vollverschleierung in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es ist offenbar eine Mischung aus kultureller Selbstbehauptung und Testlauf bzgl. unserer Toleranzgrenzen, der diese Frauen häufig treibt; es liegen in der Regel nicht Not, Abhängigkeit oder mangelnde Gewandtheit und Kenntnis westlicher Umgangsformen zugrunde, wie vorschnell unterstellt wird.  Es gibt allerdings auch jene, für die die Bekleidungsvorschriften zwingend sind, weil sie unter dem Druck der Tradition stehen. Diese sind in einer regulären Bildungsveranstaltung ohnehin thematisch und lebensweltlich völlig überfordert. Für diese Frauen müsste dann tatsächlich ein langsamer Prozess der Annäherung gestartet werden in pädagogischen Maßnahmen, die den Betroffenen gerecht werden.
Für beide Varianten gilt: Was soll einer Burka-Trägerin vermittelt werden, wenn man sie zuließe in einer Bildungsveranstaltung? Wohin – zu welcher Einsicht –  soll sie denn geführt werden, wenn es doch scheinbar „mit“ geht im Falle der Erlaubnis? Zu erreichen wäre doch die Einsicht/Erfahrung für sie, dass es auch „ohne“ geht, nur, wenn man von ihr verlangt, dies auch auszuprobieren. Es ist nicht mehr als ein gut gemeintes sozial-pädagogisches Märchen davon auszugehen, dass man im Modus der Permissivität eine Verhaltensänderung bzgl. der in Rede stehenden Bekleidung erreichen könnte – vorausgesetzt, dass man diese überhaupt anstrebt.

Aber hielte man die verschleierten Frauen auf diese Weise nicht vom Zugang zur Bildung fern? Das muss nicht sein. Warum verweist man Menschen, die den Weg der Abschottung für sich selbst aus (hier unterstellt) freien Stücken gewählt haben, nicht auf analoge Wege der Bildung und Ausbildung? Seit Jahren wird das online-Lernen für zahlreiche Lernfelder propagiert, ohne nennenswerte Erfolge in der Breite zwar, aber in Einzelfällen erfolgreich und gern genutzt, auch unter Zuhilfenahme von Online-Tutoren. Für diese Frauen, zumindest die gebildeteren unter ihnen, wäre das Online-Lernen geradezu idealtypisch geeignet. Bildung müsste also nicht verwehrt, sondern könnte „individuell“ angepasst ermöglicht werden.

Werden diese Frauen durch einen Ausschluss von der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen nicht in ihren Grundrechten tangiert, zum Beispiel der Freiheit der Religionsausübung? Wenn dem so wäre, hätte dies ein Gericht sicher bereits festgestellt. Es trifft auch nicht zu, dass eine Burka-/Niqab-Trägerin aufgrund ihrer Religion zu dieser Bekleidung gezwungen ist. Nahezu alle Stellungnahmen aus muslimischer Sicht bestätigen dies. Der Rat der Religionen in Frankfurt hat einstimmig, mit den Voten der vier ihm angehörenden Muslime ausdrücklich verneint, dass aus den Koran eine derart extreme Verhüllungsvorschrift abzuleiten ist.

Eine umstandslose Permissivität in dieser Bekleidungsfrage wäre ein falsch verstandener Minderheitenschutz, wenn man folgendes bedenkt: Ganzkörperverschleierte Frauen sind im Wortsinn gesichtslos, damit ohne Profil und somit auch ihrer Einzigartigkeit beraubt. In unseren westlichen Gesellschaften wird Gesichtsverlust auch als Verlust der Würde gedeutet. Das Wissen aufgeklärter Zeitgenossen darüber, dass in einem anderen kulturellen Kontext die Würde der Frau durch die Vollverschleierung gesichert werden soll, ändert daran faktisch nichts. Die Betroffenen sollten frühzeitig dazu gebracht werden, die für sie längerfristig – im Hinblick auf eine Integration – fatalen Folgen ihres Auftritts realistisch einzuschätzen.

Für unsere Öffentlichkeit ist es konstitutiv, sich mit offenem Gesicht zu begegnen. Die verhandelte Form der Verhüllung ist als Absage an die face-to-face-Kommunikation quasi ein Selbstausschluss aus der Teilöffentlichkeit Schule/ Hochschule. Ein Beharren auf den Grundlagen dessen, was unsere Gesellschaft ausmacht, kann auch nicht relativiert werden aus Sorge um eine vermeintlich dadurch geförderte Islamophobie.

Red.: Bernd Eckhardt
Foto: pixabay

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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