Welche Mehrsprachigkeit wollen wir?

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Der „Europäische Tag der Sprachen“ als Denkanstoß

Es könnte uns mit den Sprachen des europäischen Hauses so ergehen, wie mit den heimischen Dialekten: Zuerst sinken sie zur Bedeutungslosigkeit herab und dann verschwinden sie leise durch die Hintertür, wenn sie nicht, zu „Regionalsprachen“ mutiert, eine neue Daseinsberechtigung erlangen.

Der Siegeszug des Englischen ist unaufhaltsam, auch wenn er nicht in der Sprache selbst begründet liegt, sondern sich der Vorherrschaft zweier Weltmächte verdankt: der Supermacht Amerika im 20. Jahrhundert und davor des britischen Empire. Was die Europäer kulturell reich macht, ihre Sprachenvielfalt, schränkt ihre europäische und globale Kommunikation zugleich ein. Insofern wird dieser Reichtum auch nicht von allen als solcher wahrgenommen, sondern vielfach als (babylonisches?)
Verständigungshemmnis empfunden. Um dieses effizient abzubauen, steht überall in Europa zunächst Englisch auf dem Stundenplan, was ja unbestreitbar notwendig und zu begrüßen ist – aber eben zunehmend nur noch Englisch. Unabhängig davon, welche Variante des Englischen erlernt wird, ist damit nicht der Aufbau einer europäischen Identität verbunden. Diese basiert auf der Sprachenvielfalt als ein Grundwert der Europäischen Union. Die harmonische Koexistenz vieler Sprachen, als Einheit in der Vielfalt, ist in offiziellen Erklärungen weiterhin gewollt. Faktisch aber buchstabiert sich die offiziell weiterhin propagierte Zielformel der Mehrsprachigkeit M+2 (Jeder Europäer erlernt neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen) in der Realität als M+E (Muttersprache plus Englisch). Dass damit die eigentliche Idee der Sicherung des kulturellen Reichtums durch Mehrsprachigkeit verfehlt wird, fällt zunächst gar nicht so sehr auf, weil oftmals nur die „kommunikative Rendite“ der Globalsprache betrachtet wird.

Der Sprachsoziologe Jürgen Gerhards, der die o. a. Entwicklung ausdrücklich begrüßt, spricht dann auch konsequent von „transnationalem sprachlichen Kapital“, das durch den Besitz der Globalsprache erworben werde: berufliches Fortkommen, Erfolg, Geld etc. Sprache wird aus seiner Perspektive lediglich als ein praktisch-kommunikatives Zeichensystem wahrgenommen. Der Autor Philippe Van Parijs fordert gar die „Demokratisierung der Englischsprachkompetenz“ und schlägt ein radikales Immersions-programm in den Schulen vor sowie die Förderung englischsprachigen Medienkonsums (u. a. durch ein Verbot von Synchronisierungen). Er will damit zur „Sprachengerechtigkeit“ beitragen, weil so der Vorteil der Anglophonen getilgt werde: am Arbeitsmarkt und wegen der entfallenden Mühe des Spracherwerbs. Besonders apart seine Forderung: Weil aufsummiert etwa 30 Milliarden Euro jährlich aufgrund des Englischerwerbs nach Großbritannien transferiert werde, müsse dies zu einer Ausgleichszahlung an die EU führen. „Sprachsoziologischen Kapitalismus“, nennt der emeritierte Hochschullehrer Jürgen Trabant das, wenn der Wert einer Sprache nur an der Zahl der Menschen gemessen wird, die man damit erreichen kann. Er fordert ein anderes Verständnis dessen ein, was Sprache ist, und bilanziert die Verluste. Die eigentlich menschliche Seite der Sprache sei, dass sie eine Technik zur geistigen Bearbeitung der Welt darstelle. Jede Sprache ermögliche dieses Hervorbringen der Welt auf eine von anderen Sprachen verschiedene Art und Weise und genau darin liege der Reichtum der sprachlichen Vielfalt begründet. Eine intellektuelle Katastrophe sei es dagegen, wenn alles nur noch auf ein und dieselbe Weise gesagt werden könne.

Jürgen Trabant warnt vor dem erneuten Entstehen einer Diglossie in Europa, also dem Nebeneinander einer Hochsprache und einer Sprache für die niederen Diskurse. Anhaltspunkte sind ihm dafür: das Überlaufen ganzer gesellschaftlicher Schichten und Berufsgruppen aus der nationalen Sprachgemeinschaft in die globale Englisch-Community, z. B. in der Geschäfts- und Finanzwelt; oder der literarische Austausch zwischen den Sprachen, der zunehmend über das Englische von statten geht; ferner die wissenschaftliche Forschung, die international nur noch wahrnimmt, was in englischer Übersetzung vorliegt. Dies stoße große kulturelle Hochleistungen ins Vergessen, fürchtet Trabant, und sieht die europäischen Sprachen auf dem Weg in die anglophone Einsprachigkeit „in ihren Akzenten verklingen“. Es gelte daher, jetzt mit den europäischen Sprachen auch die darin eingelassenen Texte, als „Orte des Gedächtnis Europas“ zu sichern. Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen Einschätzungen für die Praxis eines Sprachkursträgers wie der Volkshochschule, die doch ihrem Selbstverständnis nach bereits viel zur Förderung der Mehrsprachigkeit unternimmt, allein durch ihr breites und differenziertes Angebot? Wenn man eine funktionale Aufteilung zwischen dem Englischen (internationale Kommunikation) und den anderen Sprachen (in denen man „beheimatet“ ist) fördern will, müsste man für den Erwerb der zweiten Fremdsprache das Lernziel anders definieren: Nicht reduziert auf Verständigung (mittels der Sprache), sondern erweitert um Verstehen (der Sprache und seiner Sprecher). Mit Trabants Worten: es geht um eine „Mehrsprachigkeit, die bildet.“ Nun steht der Nutzwert der erweiterten Verständigungsmöglichkeit sicher bei der großen Mehrheit der an Volkshochschulen Sprachen Lernenden im Vordergrund.

Für diejenigen aber, die im Fremdsprachenlernen ein Bildungserlebnis suchen, wären die bestehenden Kurskonzepte zu überdenken. Anzusetzen wäre dabei an einem hermeneutischen Fremdsprachen-Unterricht, der die Grenzen des Verstehens deutlicher betont als der kommunikativ-pragmatische. Der Sprachwissenschaftler Hans Hunold will die Störung glatter Verstehens-Abläufe nicht als Hindernis, sondern als Anreiz und Auslöser des Lernens begreifen. Mit dem Vergleich von eigener und fremder Sprachwelt, der dadurch evtl. ausgelösten Verstörung oder Verunsicherung, entsteht auch die Möglichkeit der „Gewinnung eines neuen Standpunktes in der bisherigen Weltsicht“ (W. v. Humboldt). Die Realität des Fremdsprachenunterrichts an Volkshochschulen ist aber anscheinend eine andere, insbesondere seit der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen“ sich als ein mächtiges Werkzeug der Normierung zwischen den Lehrwerkproduzenten (Verlage), Sprachkursanbietern und den Lernenden platziert hat. Bereits 2003 – zwei Jahre nach dessen Veröffentlichung – beklagte die Bochumer Wissenschaftlerin Inge Schwerdtfeger eine dadurch ausgelöste „McDonaldisierung“ des Fremdsprachenlernens: Der Referenzrahmen fördere eine „stromlinienförmig ausgerichteten Lerneffizienz, die die sprachlichen Lernergebnisse kalkulierbar, sie vorhersagbar macht und schließlich klare Kontrollmaßnahmen über den Lernprozess ermöglicht.“

Die von den Volkshochschulen betriebene Implementierung des GER müsste daraufhin kritisch betrachtet werden, ob aufgrund dieses Konformitätsdrucks andere „hermeneutisch“ orientierte Sprachlehr-Konzepte noch Bestand haben bzw. reanimiert werden sollten. Ferner ist zu fragen, welches Englisch denn gelehrt werden soll? Die Volkshochschulen tun sich bislang schwer, der Varietäten-Vielfalt mit einem schlüssigen Konzept gerecht zu werden. Es wird eher dem Zufall überlassen oder dem gerade den Kurs leitenden Lehrer, welche Englisch-Version – britisch, amerikanisch, kanadisch, australisch, südafrikanisch – bzw. welcher Mix im Kurs dominiert. Bislang hat auch kein Lehrwerk diese Problematik befriedigend aufgegriffen. Darüber hinaus könnten sich nur größere Volkshochulen leisten, ihr Kursangebot zusätzlich noch unter dem Aspekt der Varietäten zu differenzieren. Für viele Englisch-Lernende ist diese Fragestellung auch eher randständig beziehungsweise mangels Wahlfreiheit nicht aktuell.

Zu überdenken wäre allerdings, ob die seit 10 Jahren mit immer größerer Aufmerksamkeit registrierte „Globish“-Variante des Englischen nicht für einen bestimmten Teilnehmerkreis verfügbar gemacht werden sollte. Globish wurde nach der Jahrtausendwende entwickelt mit der Absicht, ein effektives Werkzeug der Kommunikation zu sein. Die Idee entstand im Kontext internationaler Konferenzen und verdankte sich der Beobachtung, dass die Anwesenheit von Englisch-Muttersprachlern die Kommunikation behinderte, die zwischen den Nichtmuttersprachlern auf der Basis von reduziertem und durchaus schlechtem Englisch gut funktionierte. Globish bietet ein vereinfachtes, aber korrektes Englisch mit einem beschränkten Basiswortschatz (1500, mit Ableitungen ca. 5000 Wörter), ohne kulturell geprägte Redewendungen und einer abgespeckten Grammatik: mit weiniger Zeitformen, Handlungsrichtungen und Modi; Muttersprachler kommen in der Regel mit 3500 Wörtern aus. Globish ist also keine Kunstsprache wie Esperanto, sondern eine definierte Teilmenge des Englischen, ein „geschlossenes System einer natürlichen Sprache“, mit dem Anspruch, Verständigung ohne hundertprozentige Perfektion zu erreichen. Zweifel sind angebracht, ob Globish ohne feste Verankerung in einer gewachsenen Sprachgemeinschaft das ihm unterstellte Potential für eine Weltsprache hat.

Zusammenfassend: Die Volkshochschulen könnten einerseits den bildungsorientierten Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen attraktiver machen und stärker bewerben; sie könnten andererseits die Debatte um das „richtige“ Englisch durch Programmdifferenzierung vorantreiben und dabei auch Erfahrungen mit Globish in der Praxis sammeln. Beides kann dazu beitragen, die originäre Idee der Mehrsprachigkeit gegen den faktischen Trend zu verteidigen, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, die Bedeutung der deutschen Sprache in Europa und der Welt zu sichern.

Red.: LLL/Bernd Eckhardt/vhs

Literatur:
1. Jürgen Trabant: Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen
2. Jürgen Gerhards: Mehrsprachigkeit im vereinten Europa
3. Philipp van Parjis: Sprachengerechtigkeit
4. Hans Hunold: Die Normalität des Fremden
5. Inge C. Schwerdtfeger: Das Lernen von Fremdsprachen – Glück? in: Das Sprachbuch, Klettverlag 2003
6. Jean-Paul Nerriere/ David Hon: Globish – die neue Weltsprache
7. www.globish.com

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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