Anglizismen: Wen sie nerven und warum

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Anglizismen - VRD/fotoliaVielfach ist die Rede vom Niedergang der deutschen Sprache, gar von ihrem „Verfall“, stets begleitet von der Klage über die Verballhornung der deutschen Sprache durch Anglizismen. Deren rasante Zunahme in den letzten Jahrzehnten ist unstrittig, ihre geschätzte Zahl ¬ je nach Definition und Zählweise – umstritten.
Die Anglizismus-Kritik sucht zunächst nach sprachlichen Fundierungen und macht sich die generellen Vorbehalte gegen die Übernahme von Fremdworten zu eigen: Fremdwörter seien schädlich, weil sie a) aus anderen Sprachen ins Deutsche kommen und deshalb fremd sind und bleiben, b) die Sprache unverständlich machen und c) die Struktur der Sprache zerstören oder zumindest gravierend verändern. Häufig wird präzisiert: Das Deutsche habe seine Assimilationskraft weitgehend eingebüßt und sei nicht mehr in der Lage, fremdsprachliche Wörter und Wendungen zu übertragen oder der deutschen Grammatik anzupassen. Innerhalb der Sprachwissenschaft werden diese Ansichten eher selten vertreten; der renommierte Linguist Peter Eisenberg widerspricht grundsätzlich.

Anglizismen und Fremdwörter sind Teil des Deutschen

Ihm geht es bei der Fremdwortbestimmung nicht um die Herkunft, sondern um die sprachlichen Eigenschaften, genauer: das Verhalten im Hinblick auf die grammatischen Regeln des Deutschen. Er befindet: ein Wort ist im gegenwärtigen Deutschen fremd, wenn es Eigenschaften hat, die es von den Wörtern des Kernwortschatzes unterscheidet. Fremde Worteigenschaften können phonologischer, morphologischer oder orthographischer Natur sein. Fremdwörter sind aber dennoch Bestandteil des Deutschen, auch wenn sie ganz oder teilweise aus anderen Sprachen übernommen sind: weil es vermutlich ¬ so Eisenberg ¬ kein Wort gebe, das ohne Veränderung aus dem Englischen ins Deutsche gelangt ist (und sei es nur durch Großschreibung). Das eigentlich Spannende sei also dieser kreative Prozess der Aneignung und Verarbeitung im Deutschen.

Anglizsimen keine Gefahr für das Deutsche?

Ein Anglizismus ist kein Wort des Englischen mehr, es sei denn, es handele sich um Zitatwörter (z.B. high school). Eisenberg fügt hinzu: Der frühere Einfluss von Gräzismen und Latinismen auf die Kerngrammatik des Deutschen und das sprachliche Gesamtsystem gehe weit über das hinaus, was in absehbarer Zeit von Anglizismen denkbar sei. Auch wenn keine Bedrohung für die Struktur des Deutschen bestehe, sei dessen Gebrauch zu verbessern und Missbrauch im Bereich der Fremdwörter zu kritisieren. Die Sprachloyalität der Deutschen werde jedoch untergraben, wenn man ihnen erzähle, ihre eigene Sprache tauge nichts mehr.

Und dennoch: Seit der „strukturalistischen Wende“ der Nachkriegslinguistik ist die Kluft zu den Sprachpflegern – überwiegend im Wissenschaftsjournalismus beheimatet ¬ gewachsen. Diese argumentieren, der Sprachwandel werde von der Wissenschaft lediglich funktional und distanziert analysiert, während sie selbst auch die Verluste bilanzieren. Es geht ihnen nicht nur um rein Sprachliches, sondern auch um den Status einer Sprachgemeinschaft im internationalen Wettbewerb. Im Hintergrund lauert die Sorge um die Zukunft der Kultursprache Deutsch. Wenn das Englische Wissenschaftssprache, Konzernsprache und Sprache der Hochschulen werde, bleibe Deutsch nur für die private Kommunikation. Konstruktive Anglizismus-Kritik konzentriert sich daher auf die semantische Dimension, weil Wörter und bildhafte Wendungen auch die Art und Weise bestimmen, mit der wir die Welt erfassen und geistig ordnen.

Anglizismen-Index

Der im Netz verfügbare Anglizismen-Index des Vereins Deutsche Sprache bewertet die Einwirkung auf den deutschen Wortschatz und kategorisiert danach, ob die Worte als ergänzend, differenzierend oder verdrängend und überflüssig anzusehen sind. Knapp 80% fallen in die letzte Kategorie, in allen Fällen werden deutsche Entsprechungen angeboten. Die empfohlene Haltung: stutzen und prüfen, akzeptieren oder verwerfen, ganz im Sinne von Goethe, der dies als das „Geschäft der besten Köpfe“ ansah: die Muttersprache „zugleich reinigen und bereichern“ . Der Literaturwissenschaftler K. H. Göttert bezweifelt, ob man Sprechern vorschreiben kann, in welcher Bedeutung sie Wörter benutzen. Unter den Bedingungen der Globalisierung sei die Weltsprache Englisch mit einem Prestige versehen, das Sprecher zu Übernahmen locke. Die als gefährlich gebrandmarkten Anglizismen seien der Sack, den man schlüge, gemeint aber sei der als fremdartig empfundene Esel der Globalisierung.
Unübersehbar speist sich die Anglizismen-Kritik auch aus außersprachlichen Motiven. Kein Grund jedoch, Missgriffe wie „Rail & Fly“ zu „liken“, pardon: zu mögen. „Zug zum Flug“ klingt doch irgendwie besser, oder?

Red.: LLL/Bernd Eckhardt
Foto: VRD/fotolia

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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