Von Gästinnen, Studierx und männlichen Professorinnen

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Geschlechtergerecht - Marco2811/fotoliaWas will und was bewirkt die geschlechtergerechte Sprache?
Seit die Anglistin Luise F. Pusch vor drei Jahrzehnten „Das Deutsche als Männersprache“ identifizierte, hat sich der Sprachgebrauch in Behörden, Unternehmen und der Öffentlichkeit grundlegend gewandelt. Die Absicht, das weibliche Geschlecht auch in sprachlichen Formen sichtbar zu machen, hat eine Vielzahl von verbindlich anzuwendenden Leitfäden in den öffentlichen Verwaltungen des deutschsprachigen Raums hervorgebracht. So dekretiert die Stadt Wien Grundsätze (Paarform m/w, das Binnen-I als die Kurzform der Paarform sowie geschlechtsneutrale Wendungen) und gibt weitere Hinweise zum Formulieren und für die Anrede in geschlechtergerechter Sprache. Die Begründung: „Sprache prägt unser Bewusstsein und unsere Vorstellung von Geschlechterrollen“. Es reiche nicht aus zu sagen oder zu schreiben: „Frauen sind mit gemeint“.

Ist die deutsche Sprache sexistisch?

Die Ansichten darüber, wie prägend die Sprache ist, liegen weit auseinander; im Aufeinandertreffen unversöhnlicher Positionen steckt ein erhebliches Erregungspotential, und gefochten wird mit harten Bandagen. Die feministische Sprachkritik bezeichnet die deutsche Sprache in ihrer Struktur und ihrem Wortschatz als sexistisch; in ihr komme die Vormachtstellung des Mannes zum Ausdruck. Für die Beseitigung der Vormacht sei ein sprachlich initiierter Bewusstseinswandel nötig: „Der wahre Feind ist das generische Maskulinum“ plädiert Luise Pusch; es mache die Frauen unsichtbarer als jede Burka. In der deutschen Sprache – wie in vielen anderen auch – ist die Entscheidung zugunsten der männlichen Form getroffen worden, wenn es um das Generische geht, also vom Geschlecht abgesehen wird. Die männliche Form kann die weibliche einschließen (z. B. Arzt), die weibliche (Ärztin) die männliche nicht. Man bezeichnet dies sprachwissenschaftlich als „inklusive Opposition“ bzw. in der Grammatik als Feminin-Motion. Es gibt zwar auch einige Wörter im generischen Femininum (die Geisel, die Waise), das generische Maskulinum überwiegt in Anzahl und Frequenz jedoch stark. Dass in unseren Sprachen die männliche Form privilegiert wird, kann nicht verwundern in einer Welt, die stark durch die männliche Sicht geprägt war und ist.

Bewusstseinsbildende Macht

Nun wenden Linguisten ein, dass das Prinzip der inklusiven Opposition auch andere Bereiche betreffe (Tag schließt Nacht ein) und dass etwa die romanischen Sprachen weitaus „männersprachlicher“ seien als das Deutsche. Wesentlicher aber der Einwand: Die feministische Linguistik überschätze gewaltig die bewusstseinsbildende Macht der Sprache. Allerdings ist hier einzuräumen: 2008 hatte zumindest eine Studie den Nachweis gebracht, dass das generische Maskulinum zu einem geringeren gedanklichen Einbezug von Frauen führt (Gygax u.a.). In den Augen der Gegner der geschlechtergerechten Sprache ist diese dennoch grammatikalisch und stilistisch nicht zu verantworten, produziere inkorrekte und schwer lesbare Texte.

Kein Thema von Belang?

„Entweder man stellt sich auf die Seite der Sprache, oder die `Sichtbarmachung der Frau´ ist einem so wichtig, dass man es vorzieht, sich gegen die Sprache zu stellen“, argumentierte der emeritierte Romanist Hans-Martin Gauger im letzten Jahr. Er empfiehlt, den allgemeinen Sprachgebrauch sich selbst zu überlassen. Wolf Schneider hat der gendergerechten Sprache gar „öffentlich den Krieg erklärt“ und hält sie für „Schwachsinn“: 90% der Bevölkerung sei dieses Thema „egal“.
Zwischen den Polen der feministischen Sprachwissenschaft einerseits, die das generische Femininum propagiert und den „Maskulinguisten“ (Luise F. Pusch über die etablierte, männliche geprägte Linguistik) andererseits, kommen in der alltäglichen Praxis zahlreiche Varianten zur Anwendung, die einen Mittelweg zwischen geschlechtergerechten und dennoch lesbaren Texten suchen. Dabei dominiert die Paarform, das („phallische“) Binnen-I ist bereits wieder auf dem Rückzug. Es ist auch deshalb umstritten, weil es von der Existenz nur zweier klar bestimmbarer Geschlechter ausgeht. Als Alternativen dazu kursieren das sogenannte Gender-Gap (Student_innen) bzw. der Genderstar (jede*r), deren Vorteile sich dem nicht Eingeweihten nur schwer erschließen.
Das jüngst propagierte „dynamische Gendern“ besteht darin, den Unterstrich irgendwo im Wort zu platzieren; hier führt nicht die Absicht der Sichtbarmachung des Geschlechts die Feder, sondern das Ziel von dessen Neutralisierung. Andere Anhänger gendersensiblen Schreibens behalten sich das traditionelle Maskulinum ausschließlich für negativ konnotierte Begrifflichkeiten vor. Die letztgenannten Varianten oszillieren zwischen unfreiwillig komisch und ideologisch; eine völlig andere vermeintliche Lösung ist nur auf den ersten Blick tragfähig: die häufiger anzutreffende Verwendung des Partizip Präsens, die z. B. die geschlechtslosen ´Teilnehmenden´ und ´Studierenden´ hervorbringt. Zu sagen: „In der Kneipe sitzen biertrinkende Studierende“, ist jedoch semantisch ein offensichtlicher sprachlicher Missgriff und zeigt die Grenzen dieses Versuchs auf. In die Nähe einer solchen Bewertung geraten auch die Entscheidung der Leipziger Universität, in offiziellen Schreiben und Anreden nur noch die Form „Professorin“ zu wählen (wenn Professorinnen und Professoren gemeint sind), sowie die Bitte des Berliner Gender Studies Professors Lann Horscheidt, man möge ihn in Emails als „Sehr geehrtx Profx“ anschreiben, da er sich weder als Frau noch als Mann fühlt.

Zwischenwelt

Der Philologe Roland Kaehlbrandt rekurriert auf den grundlegenden Sachverhalt, dass es „keinen direkten materiellen Zusammenhang zwischen Wörtern und Sachen“ gibt; zwischen dem Gegenstand unserer Wahrnehmung und dem Lautkörper, mit dem wir ihn bezeichnen, bestehe eine „Zwischenwelt“, in der auf der Basis der Regeln unseres Sprachsystems ein verhandelnder Austausch stattfinde. Für ihn ist daher die Verwechslung von biologischem mit dem grammatischen Geschlecht bzw. dessen „politische Aufladung“ voller Tücken. „Die Sprache kommt in die Werkstatt der Gerechtigkeitssemantik“, die sprachliche Bevormundung stelle das politische Anliegen über die Natur der Sprache, weil das gesellschaftliche Leben über die Sprache reguliert werden solle.
Soweit die eine (intentionale) Seite der Medaille. Vor dem Hintergrund vieler verwirrender Schreibungen verwundert es kaum, dass nicht wenige Zeitgenossinnen schroff resümieren, dass Jahrzehnte sprachlicher Gleichbehandlung bloß unschöne Texte, aber keine gesellschaftliche Gleichbehandlung erbracht haben. Etwas verwegener, aber im Ergebnis radikaler kommt eine Argumentation daher, die die erkämpfte und gewährte Sprachengerechtigkeit als Geschenk der Männer und Ablenkungsmanöver zugleich bewertet. Die neoliberale Vereinnahmung feministischer Gesellschaftskritik führe mit der Fokussierung auf die „political correctness“ dazu, den Blick auf die tatsächliche Abwesenheit von Frauen in bestimmten Feldern zu verstellen.

Red.: LLL/Bernd Eckhardt
Foto: Marco2811/fotolia

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Literatur:

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Forum Sprachkritik. http://www.deutscheakademie.de/de/aktivitaeten/projekte/sprachkritik/2014-02-18/herr-professorin; Kontroverse zwischen Luise F. Pusch und Hans-Martin Gauger.
Gauger, Hans-Martin, Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache, C.H. Beck, München 2012

Gygax, Pascal et al. (2008): „Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men“. Language & Cognitive Processes 23/3

Kaehlbrandt, Roland, Logbuch Deutsch. Wie wir sprechen, wie wir schreiben, 2015,
Klostermann Rote Reihe

Pusch, Luise F., Das Deutsche als Männersprache, Frankfurt am Main 1984

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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