Achtsamkeit in der Führung

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„Führung ist eine Dienstleistung, um andere Menschen und letztendlich auch das Unternehmen erfolgreich zu machen.“

Führungskräfte werden in Zukunft neue Kompetenzen benötigen, um Mitarbeiter motivieren und deren individuelle Entwicklung fördern zu können. Im Folgenden ein Plädoyer für ein beziehungsorientiertes Führungsprinzip.

Trotz einer grundsätzlich positiven Einstellung zur Arbeit haben 85 Prozent der deutschen Arbeitnehmer keine oder nur eine geringe Bindung zu ihrem Arbeitgeber – hiervon hat ein Teil innerlich bereits gekündigt und tut lediglich Dienst nach Vorschrift. Über 40 Prozent der Arbeitnehmer beabsichtigen, in den nächsten drei Jahren ihren Arbeitgeber zu wechseln. Dies sind zentrale Aussagen aus dem aktuellen Gallup-Engagement-Index, der seit 2001 jährlich erstellt wird. Die diesjährige Studie stellt fest, dass das Führungsverhalten der direkten Vorgesetzten einen starken Einfluss auf die Mitarbeiterbindung hat. Führungskräfte sind laut der Gallup-Studie der Kündigungsgrund Nummer eins. Die mangelnde Mitarbeiterbindung kostet die deutsche Volkswirtschaft jährlich zwischen 73 und 95 Milliarden Euro.

Das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeit und Gesundheit stellte unter Bezug auf vorliegende Studien von Krankenkassen zudem eine massive Zunahme von psychischen Störungen und Erkrankungen in der Arbeitswelt fest. Die Folgekosten dieser Erkrankungen belasten die deutschen Unternehmen noch einmal zusätzlich mit etwa zehn Milliarden Euro – und dies noch ohne die Kosten des Gesundheitssystems. Neben Mängeln in der Führung verschärfen die Herausforderungen des sich rasant verändernden wirtschaftlichen und sozialen Umfelds die Situation noch weiter.

Achtsamkeit in der Führung – Führung beschäftigt sich mit Beziehungsgestaltung

Führung in Zeiten des Wandels erfordert neue Konzepte und Verhaltensweisen in der Führung. Führung ist nicht alleine das Managen von Prozessen und Abläufen. Führung beschäftigt sich mit Menschen und damit mit Beziehungsgestaltung. Oder anders ausgedrückt: Führung ist eine Dienstleistung, um andere Menschen erfolgreich zu machen. Welche Anforderungen heute an eine Führungskraft gestellt werden, beschreibt der Hays-Report 2014/ 2015 – Schwerpunkt Führung sehr umfassend: Etablieren einer Feedbackkultur, Gewährung von Freiräumen bei den Aufgaben der Mitarbeiter, Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten, Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, Gestaltung von Beziehungen im Team beziehungsweise in der Abteilung sowie Schaffung von Vereinbarkeit von Beruf und Lebenssituationen.

Günter BalmesWie Unternehmensführung in 20 Jahren genau aussehen wird, das können weder Experten noch Praktiker voraussagen. In der bereits erwähnten Hays-Studie heißt es unter anderem: „Führungskräfte der Zukunft werden eine Reihe neuer Fähigkeiten und Kompetenzen benötigen, um erfolgreich sein zu können.“ Als anforderungsgerechtes Führungsmodell der Zukunft eignet sich das bereits in den Neunzigerjahren entwickelte Modell der transformationalen Führung. Im Gegensatz zu den traditionellen Führungsmodellen, die überwiegend nach dem Prinzip „Austausch von Leistung und Gegenleistung“ funktionieren, motivieren Führungskräfte bei diesem Modell dadurch, dass sie überzeugend attraktive Visionen vermitteln, Vorbild sind, indem sie glaubwürdig und vertrauenswürdig handeln, unabhängiges Denken anregen und herausfordern sowie die individuelle Entwicklung ihrer Mitarbeiter fördern.

Dieses Modell ist der Rahmen für eine neue beziehungsorientierte und wertschätzende Führung. Diese muss jedoch von den Führungskräften durch ein geändertes Führungsverhalten gelebt werden. Hier bietet sich das Führungsprinzip der Achtsamkeit als ideale Ergänzung zum transformationalen Modell an. Achtsamkeit ist eine angeborene Fähigkeit des Menschen, die trainierbar ist. Achtsamkeit ist die Präsenz in der Gegenwart.

Sie ermöglicht es, den gegenwärtigen Moment direkt und unverfälscht wahrzunehmen – und zwar, ohne zu bewerten. Durch diese Distanz zwischen Reiz und Reaktion werden auch automatische Reaktionen, die auf Vorerfahrungen beruhen, vermieden. Achtsamkeit ermöglicht das Annehmen jeglicher Situation als Basis für einen besseren Umgang damit und dadurch auch insgesamt ein stressfreieres Erleben von Situationen. Sie ermöglicht es außerdem, die eigene Position maßvoll zu vertreten und Konflikte besonnen zu klären und eine wertschätzende, von Vertrauen geprägte Beziehung zu den Mitarbeitern herzustellen.

Die Voraussetzung für eine gute Führungsarbeit ist eine ausgeprägte Kompetenz zur Selbstführung. Die Fähigkeit zur Selbstführung spielt sowohl im Führungskontext als auch im privaten Leben eine entscheidende Rolle. Der Kommunikationswissenschaftler und Psychologe Friedemann Schulz von Thun nennt es „mit sich selbst und anderen klarkommen“.

Zu einer guten Selbstführung gehören unter anderem eine realistische Selbsteinschätzung, Empathie, Kooperationsbereitschaft, gute kommunikative Fähigkeiten, Disziplin und die Fähigkeit, gut mit eigenen Emotionen umgehen zu können. Eine gute Selbstführung ist die Basis für ein konstruktives und kooperatives Miteinander. Die bewusste Wahrnehmung und Steuerung der eigenen Gefühle und die Fähigkeit, sich in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen, machen es möglich, authentisch zu bleiben und sich situativ angemessen zu verhalten.

Die Praxis der Achtsamkeit und eine permanente Reflexion des eigenen Verhaltens schaffen die Voraussetzungen für eine gute Selbstführung. Diese stärkt die eigene Effizienz und die psychische Widerstandskraft. Gute Selbstführung erzeugt auch eine Sogwirkung. Mitarbeiter folgen viel eher Führungskräften, die sich selbst führen können, und nehmen sie sich zum Vorbild. Ein authentisches Führungsverhalten, bei dem die innere und die äußere Haltung kongruent sind, führt zu einer deutlich höheren Leistungsmotivation, geringeren Fehlzeiten und Fluktuation bei den Mitarbeitern.

Achtsamkeit am Arbeitsplatz wird in den USA schon seit einigen Jahren in den umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen gefördert. Die Integration in die betriebliche Gesundheitsförderung wäre in Deutschland, auch für die stark Burnout-geplagten Branchen, eine weitere Chance zur Verbesserung der betrieblichen Gesundheit.

(Erstmals veröffentlicht in „IHK WirtschaftsForum“ 09.15)

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Coach/Berater/Trainer bei Coaching • Consulting • Training
Führungskräftetraining; Coaching; Stressmanagement; Konfliktmanagement: Teamentwicklung
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