Die siebziger Jahre und die Folgen der 68er-Bewegung: zwei Rezensionen

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Die siebziger Jahre und die Folgen der 68er-Bewegung: zwei Rezensionen
Ulrich Raulff, Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens, Klett-Cotta 2014
Philipp Felsch, Der lange Sommer der Theorie, C. H. Beck, 2015

Hartnäckig hält sich die Legende, nach der die 68er-Bewegung zur Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft der alten Bundesrepublik maßgeblich beigetragen habe.
Der Frankfurter Historiker Gerd Koenen hatte dagegen schon zur Jahrtausendwende in seiner umfangreichen Studie zum „Roten Jahrzehnt  (1967-77)“ über „die vielen Ambivalenzen ein und derselben Bewegung“ festgestellt, dass sie höchstens als Katalysator jenes großen sozialkulturellen Umbruchs fungierte, der sich eher außerhalb als innerhalb ihrer Milieus vollzog, eher ohne sie, als mit ihr. Mit der flapsigen Bemerkung, „alle Wege von 68 führen letztlich in den Supermarkt“ hatte der Philosoph Sloterdijk überspitzt zum Ausdruck gebracht, was Henning Ritter in einem Leitartikel der FAZ so formulierte: „Nicht die Ideen der 68er änderten die Gesellschaft, sondern die von ihnen verteufelte Wohlstandsgesellschaft nahm gierig ihre neuen Bedürfnisse auf, und es dauerte nicht lange, bis die Generation, die zur Bundesrepublik auf Distanz gegangen war, sich bereitwillig von dem verschlingen ließ, was sie eben noch als Konsumgesellschaft verteufelt hatte“. Es war ihm zufolge weniger eine Wertedebatte, die sich ereignet hatte, sondern „ein psychodramatischer Wechsel von Verhaltensstilen“.

In den letzten beiden Jahren haben zwei Veröffentlichungen die siebziger Jahre bzw. die Folgen der 68er Revolte fokussiert auf eng verwandte Aspekte thematisiert. Philipp Felsch beschreibt „Die Geschichte einer Revolte“ (Untertitel) als den „langen Sommer der Theorie“. Er zeichnet die Publikations-Geschichte des Merve-Verlags, der die Theorielandschaft der Mauerstadt Berlin und der alten Bundesrepublik über zwei Jahrzehnte mitbestimmt hat, aus der Sicht der handelnden Personen nach. Felsch bedient sich dabei des umfangreichen Materials, das der ehemalige Verlagsleiter Peter Gente dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) übergeben hat: Korrespondenzen, Tagebücher, Notizen und Dokumente aus der Verlagsgeschichte. Ulrich Raulff hat unter dem Titel „Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens.“ seinen persönlichen intellektuellen Werdegang dokumentiert, im Zentrum seine spezifisch-private Passion der Lektüre, die im Mainstream der Theoriegläubigkeit der Siebzigern besonders genährt wurde. Man kann das in flotter Schreibe verfasste Bändchen als seinen persönlichen Bildungsroman lesen.  Es scheint so, als habe er die Empfehlung des Schlusssatzes aus Gerd Koenens einschlägiger Darstellung beherzigt, dass man die Geschichte des roten Jahrzehnts „weithin nur aus einer Position der Anteil nehmenden Ironie noch erzählen“ könne. Denn Raulff macht selbstironisch keinen Hehl aus den jeweiligen zeitgemäßen Irrungen und Wirrungen, erdacht und durchlebt in dem „unsichtbaren Käfig intellektueller Zeitgenossenschaft“. In Felschs Darstellung findet der Autor Raulff mehrfach Erwähnung, nicht nur als Redakteur einer kurzlebigen Zeitschrift („Tumult“) Ende der siebziger Jahre.

Obwohl der eine autobiographisch entlang der eigenen Erinnerung formuliert, der andere als Biograf der „Merve-Macher“ aus dem Fundus des ihm überlassenen Archivs schöpft, fügen sich die Darstellungen beider widerspruchsfrei zu einem komplexen Bild. Insbesondere werden die Bruchstellen und Veränderungen kongruent beschrieben, die im Umgang mit „Theorie“, in der veränderten Form und Bedeutung des Lesens und Veröffentlichens sowie in der Wahrnehmung von Texten und Bildern in einem bestimmten politischen Spektrum des fraglichen Jahrzehnts stattfinden. Es sind dies letztlich auch bedeutsame Elemente von Veränderungsprozessen, auf deren Ergebnis die eingangs zitierten Autoren Bezug nehmen.

Raulffs Spurensuche beginnt an seinem ersten Studienort Marburg, den er als eine Art Freilichtmuseum beschreibt, in dem man den Stil von 68 noch lange Zeit ziemlich unverändert studieren konnte. Er erinnert sich ferner an einen „atmosphärisch ungewöhnlich dichten Raum des Austausch über akademische, aber eben nicht nur akademische Fragen“.  Erst mit der späteren Lektüre des Sammelwerks der französischen Schule über „Die Geschichte des privaten Lebens“ wird ihm bewusst, wie sehr es an diesem privaten Leben in dieser Zeit eigentlich gemangelt hat. Denn der oft zitierte Satz vom Privaten, das zugleich das Politische ist, provozierte nun mal das ständige `Hinterfragen` und `auf den Begriff bringen` von allem und jedem. Das Wort `Ableitung` wurde zu einer Hauptvokabel, alles musste von irgendwoher abgeleitet, sprich: beglaubigt werden. „Diese Leute glaubten tatsächlich noch an den Wert von Begriffen und ihre Bedeutung für das Leben“, vermerkt der Autor in der Rückschau. Mit heiligem Ernst und dem Verlangen nach Klarheit begab man sich auf die nervöse Suche nach dem richtigen Standpunkt, aber nicht nur im universitären Austausch. So überforderten auch die Wohngemeinschaften ihre Bewohner, indem das Private öffentlich zu machen war und „existentielle Proben auf das Leben“ gewagt wurden, wodurch dieses aber auch eine gewisse Spannung erhielt, „einen Tonus, den wir als authentisch empfanden“. Dem Mythos der Universität als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden sei neues Leben eingehaucht worden, indem die Studentenschaft auch die persönlichen und intimsten Probleme mit großer Selbstverständlichkeit an die Alma Mater herantrug in der Erwartung, dort eine Lösung zu finden.

Auch Michael Rutschky hat in seinem Essay „Erfahrungshunger“ über die siebziger Jahre „eine unspezifische Hoffnung auf restlose Theoretisierbarkeit“ festgestellt: „jeder meiner Impulse sollte ganz unmittelbar eine allgemeine Wahrheit sagen“. Er beschreibt, wie soziologische und sozialpsychologische Kategorien in den allgemeinen Sprachgebrach eingedrungen waren und sich die Utopie, nach allgemeinen Begriffen zu leben verbreitete, auch unter vielen Leuten, die an der Protestbewegung gar nicht mehr teilgenommen hatten. Da dieser Sprachgebrauch aber zugleich auch Ohnmacht und Entfremdung mitteilt, so Rutschky, habe sich „als Reversbild jener Utopie der Allgemeinbegriffe“ eine Utopie der Unbestimmtheit herausgebildet, des Vagierens, der Strukturlosigkeit, der Entgrenzung, der alles, was nach Schema und Bestimmung aussieht, verdächtig wird. Die vielen unruhigen Suchbewegungen der siebziger Jahre bringt er damit in Verbindung.

In einer Zeit, die mit quasi religiösem Furor an die Veränderbarkeit des Menschen und der Verhältnisse glaubte, mussten daher auch die pädagogischen Diskurse und Praktiken große Bedeutung erlangen. So erklärt sich Raulff die Resonanz und den Zulauf, den die lokalen Marburger Heroen der Erziehungswissenschaften, Klafki und Kamper seinerzeit erhielten: „Es begann als Politik, es endete als Pädagogik“. Aus der Distanz von vier Jahrzehnten erscheint ihm allerdings schwer begreiflich, wie der Marxismus als „vielfach widerlegte Doktrin des 19. Jahrhunderts (…) noch einmal und für ein langes Jahrzehnt zur vorherrschenden Denkschule der westlichen Welt werden konnte.“

Irgendwann entdeckt Raulff den Humor von Roland Barthes und erliegt dem für ihn „eigentümlichen Reiz“ der französischen Theoretiker. Er genießt die Provokationen, die von der strukturalistischen Marx-Lektüre und der foucaultschen Subversion der Aufklärung ausgehen. Längere Aufenthalte in Paris und persönliche Begegnungen mit den neuen französischen Sternen am Theoriehimmel  begünstigen das Abbiegen von der Straße des linken Konformismus. Aber erst nachdem er Ernst Robert Curtius gelesen und das Werk von Aby Warburg zur Kenntnis genommen hat, beginnt sein dauerhafter Auszug aus der Suhrkamp-Kultur. „Die Siebziger begannen als ein Jahrzehnt des Textes und endeten als eines des Bildes.“ Bis heute werde massiv das Vordringen der Bilder in den siebziger Jahren unterschätzt. In den siebziger Jahren begann der Aufstieg der Kunstgeschichte innerhalb der Geisteswissenschaften und in ihrem Schatten, „als Sekundant wie als Konkurrent“, der Medienwissenschaft.

Mit den Instrumenten der Franzosen wurde es möglich, den Begriff der Macht anders zu denken, in Verbindung z. B. mit Größen wie Wissen und Sex bzw. mit Techniken der Einschließung, Isolation und Zähmung. Die Bildwissenschaften wiederum lehrten, die Welt als Bild erfahrbar zu machen und setzen die Kritik der Macht der Bilder auf die Tagesordnung. Heute, so Raulff, erzeuge man Verwunderung wenn man schildere, mit welcher Lust man sich damals auf alles gestürzt habe, was den großen Durchblick versprach. Fast scheine es so, sinniert der Autor zum Schluss, als wenn sich in dem schnellen Wechsel der Lektüren, dem fahrigen Lesen – ohne langsames philologisches Eindringen in den Text – schon die Ära der Suchmaschinen ankündigte.

Raulff streut in die Tour d`horizon seines intellektuellen Werdens viele vergnügliche Anekdoten ein, die Personal, Denk- und Lebensstile der siebziger Jahre plastisch werden lassen, aber vornehmlich um die Welt der Bücher und Bilder und deren Aufbewahrungsorte kreisen: Archive und Bibliotheken, in denen der Autor einen nicht geringen Teil seines Lebens verbracht hat. Seit November 2004 ist Ulrich Raulff Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Wir dürfen uns Ulrich Raulff als einen glücklichen Leser vorstellen.

Philip Felsch stellt die Frage `Was war Theorie?`, um die Faszination eines Genres aufspüren, dass eine ganze Generation in den Bann gezogen hat. Die vorläufige Antwort in der Einleitung: „…ein Wahrheitsanspruch, ein Glaubensartikel und ein Lifestyle-Accessoire“. Entlang der gut dokumentierten Vita der ehemaligen Merve-Verleger Peter Gente, Merve Lowien und Heidi Paris will er zeigen, dass das, was zu Beginn der Bewegung der „Kritik der Verhältnisse“ dienen sollte, in den 80er Jahren zu einem ästhetischen Erlebnis wird. Es geht ihm allerdings nicht um eine weitere  Ideengeschichte, sondern er will den „Siegeszug der Theorie seit den sechziger Jahren“ über „ihre Lesarten und Gebrauchsweisen“ verstehen. Nicht die Inhalte der über 300 veröffentlichten Titel des Verlages, der später auch als „Reclam der Postmoderne“ bezeichnet wurde, stehen im Zentrum, sondern die Büchermacher und ihre Freunde als Lektüregruppe, Fangemeinde und Rezeptions-zusammenhang. Wer tiefer bohren möchte, wird durch einen achtzigseitigen Anhang gut versorgt.

Wenn Peter Gente als Verleger zunächst Wert darauf legte, „ambulatorische“ Bücher zu machen, die man in verschiedenen Alltagssituationen dabei hatte und las, führt der Autor Felsch dies auch auf dessen initiale Adorno-Lektüre zurück; er trug `Minima Moralia` fünf Jahre in der Jackentasche stets mit sich. Eben jener Adorno hatte im Verein mit Enzensberger noch über die „Liquidation des Buches“ geklagt angesichts der billigen Taschenbücher mit ihren reklamehaften bunten Umschlägen: der Leser werde zum Konsumenten, die Lektüre oberflächlich, die Bücher schneller entsorgt. Beide konnten nicht ahnen, welchen publizistischen Erfolg sie selbst aufgrund der Umwälzungen auf dem Buchmarkt erzielen sollten: 68 als „paperback revolution“ (Ben Mercer).

Die Publikationspraxis linker Theorieverlage war jedoch zunächst exakt auf die Zerstörung jener Aura des Buches aus, wollte sie doch `Gebrauchsbücher `statt `Besitzbücher` auf den Markt bringen, der konsequenterweise mit Raubdrucken überspült wurde. Im Sinne der Kritik der Warenästhetik hüllte der Merve-Verlag seine Broschüren zunächst in schmuckloses Grau. Mit dem Ende des Glaubens an die Macht der Massen hatte das begriffliche Arsenal des dialektischen Materialismus Mitte der Siebziger seine Anziehungskraft verloren und anderes Vokabular, u. a. das Wortfeld des Mikroskopischen (Mikrophysik, Mikropolitik), drängte in den Vordergrund. Passend dazu schrumpften die bei Merve verlegten Bände auf Postkartengröße, um den Riss in der Verlagsprogrammatik sichtbar zu machen. Die Bücher wurden zugleich auch bunter. „Intensitäten“, der Bestseller von Lyotard, erschien 1977 pinkfarben und gab dem „Denken in Leidenschaften“ auch äußerlich Ausdruck. Die Suche nach einem neuen Theoriedesign führte über die Materialverbindung von Bildern, Begriffen und Objekten zu einer neuen Theoriesprache, für die die französische Zeitschrift `Traverses` eine Vorlage für deutsche Experimente liefert. Die als „immer labyrinthischer“ analysierten Machtverhältnisse erfordern neue Strategien der Subversion. Die „Sprachspiele der Wunschrevolte“ führten zu einer neuen Theorieästhetik, noch vor dem `pictorial turn` der neunziger Jahre. Das publizistische Selbstverständnis der Verleger wanderte in den achtziger Jahren weg von der Utopie des Theorie-Taschenbuchs mit schwierigen Texten in größtmöglicher Auflage hin zu kleinen Stückzahlen „in der Schwebe zwischen Aura und Reproduzierbarkeit“.

Der Leser erfährt neben zahlreichen Anekdoten über die seinerzeit führenden Denker und Theorie-Produzenten und deren Querverbindungen auch einiges über den großen Merve-Konkurrenten Suhrkamp. Denn bevor der Merve-Verlag 1970 gegründet wurde, hatte Suhrkamp bereits fünf Jahre zuvor eine Reihe „Theorie“ etabliert und mit einem so prominenten wie heterogenen Beraterkreis – Habermas, Blumenberg, Henrich und Jacob Taubes – unter der Regie des Lektors Karl Markus Michel versehen. „Theorie“ bedeutete 1965 kritische Gesellschaftstheorie im Sinne der Neuen Linken, ein Gegendiskurs zur akademischen Philosophie. Peter Gente wäre um ein Haar selbst im Hause Suhrkamp gelandet, als durch Taubes geförderter Initiator einer Zeitschrift, die allerdings neben dem gleichzeitig dort von Enzensberger gestarteten „Kursbuch“ als überflüssig angesehen wurde. Ein von Gente entworfenes  Konzept für eine Buchreihe sah vor, dass „Interesse an sozialwissenschaftlicher Orientierung zu bedienen“ für Leserkreise, die in der Vergangenheit eher für Belletristik zu gewinnen waren. Das Desinteresse der Verlage führte schließlich zur eigenen Gründung.

Gente war immer ein asketischer Leser gewesen und versah zu Beginn das Merve-Kollektiv für die regelmäßig anberaumten kollektiven Lektüre-Sitzungen mit einem anspruchsvollen Programm (Marx, Feuerbach, Marcuse, Krahl). Da die Tätigkeit im Verlag als „Antizipation emanzipatorisch Praxis“ galt, wurde das eigene Tun auf Schritt und Tritt verfolgt, was schließlich zu ausufernden Diskussionen führte, die theoretische, verlagsspezifische und private Probleme gleichzeitig erfassten und den Glauben an die Macht der Kommunikation allmählich erschütterten. Durch die Ereignisse  im „Deutschen Herbst“ änderte sich alles:  „Nach 1977 war `Theorie` nicht mehr dasselbe wie zuvor“ hält Philipp Felsch fest und Merve verabschiedete sich bereits im Folgejahr vom Marxismus und vom Diskutieren zugleich. Im neuen Merve-Sound („Wir wollen eine kleiner Verlag, unscheinbar und daneben sein, und das macht uns irre Spaß“) brach sich eine eruptive Heiterkeit Bahn. Der Autor Felsch versäumt nicht, einige Veröffentlichungen anzuführen, die für die damalige Stimmung in der „intellektuellen Wasserscheide“ der Endsiebziger repräsentativ waren. Dieter Wellershoff etwa mit seiner „Theorie des Blödelns“ oder, inhaltlich konträr dazu, Gert Mattenklott in seinem „Versuch über Albernheit“. Die Disziplin der ersten Jahre im Verlagskollektiv wich einer betonten Lässigkeit. Mit der „Askese hermeneutischer Lesarten“ war es nunmehr vorbei, die Lust am Text stand im Vordergrund, nicht der politische Gebrauchswert. Der Forderung von Nietzsche, „laut und wiederkäuend“ zu lesen, kam man in der gemeinsamen „Anti-Ödipus“-Lektüre durch reihum Satz-für-Satz-Lesen nach. Gente fühlte sich erleichtert: „Ich stand nicht mehr unter diesen Zwängen, nicht mehr unter dieser Schuld von diesen ewigen Selbstlegitimationen.“ Das Selbstverständnis des Verlegerpaars Gente/Paris („wir sind begeisterte Leser und unfähige Schreiber“) spiegelte sich in den Werken der in den Achtzigern verlegten Autoren wider, etwa in Michel de Certeaus „Kunst des Handelns“, worin der Leser zum „schwärmerischen Autor“ nobilitiert wird, der allerdings in den Texten etwas anderes findet als das, was deren `Intention` war. Es war der Alptraum der Kritiker der Taschenbuchrevolution gewesen, dass der Leser zum Konsumenten degradiert werde, hier kehrte er, notiert Felsch, nach zwei Jahrzehnten in den Merve-Bänden „als publizistisches Programm“ zurück.

In  der Folge beschreibt der Autor, wie der „Gestus des schwierigen Denkens“ seinen Ort, seine Begriffe und Gegenstände, aber besonders seinen Stil änderte. In den achtziger Jahren sei die Theorie in den White Cube der Kunst abgewandert. Er resümiert: „Das schwierige Denken ist heute vor allem in der Kunstwelt heimisch.“ Die Theorie, die an die Stelle des Neomarxismus getreten sei, sehne sich nach der Materialität von Kunstwerken. Wie es dazu kam, schildert der Autor in einem wenig gegliederten, assoziativen Text, der zwischen verschiedenen Zeiträumen und diversen Fragestellungen mäandert, angereichert durch munteres name-dropping: Foucault, Lyotard, Deleuze, Guattari, Baudrillard, Cage, Burroughs, Sloterdijk, Latour, Luhmann, Kittler, Bolz, Goetz, Bohrer, Habermas, Szeemann, Beuys, Middendorf, Kippenberger, um nur die wichtigsten zu nennen.

Vieles kann verständlicherweise in der manchmal kaleidoskopisch wirkenden Überblicksarbeit nur angedeutet werden; der Autor verlässt sich auf das Hintergrundwissen des Lesers zu den Stichworten des Textpotpourris. Darin spielen die offenen und versteckten Verbindungen zwischen für die Theorie- und Kunstentwicklung bedeutsamen Personen und deren Denken (u. a. Jacob Taubes/Carl Schmidt, Heiner Müller/Paul Virilio/ Ernst Jünger) ebenso eine Rolle wie die Metamorphose der Lebensstile einer speziellen Szene im fraglichen Zeitraum.  Der Epilog endet mit dem Satz: „Die Zukunft der Theorie ist ungewiss.“ Das trifft cum grano salis auch auf die Deutsche Rentenversicherung zu.

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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