Pausenfüller: Wie uns das Reden beim Denken enteilt!

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Pausenfüller: Wie uns das Reden beim Denken enteilt!

Sie kommen nahezu in allen Dialogen und Vorträgen vor, sind eher ungeliebt und gelten als störend. Die Rede ist von den „ähs“ und „ähms“ und ihren Verwandten. Der Duden stellt neutral fest, das „äh“ gehöre zur Wortklasse der Partikel und diene dazu, „bei unkonzentriertem Sprechen kurze Sprechpausen zu überbrücken“. Das Wiki-Wörterbuch „Wiktionary“ nennt die „Gesprächspartikel“ ein „Füllwort“ und kommentiert mit erhobenem Zeigefinger: „Ein unmotiviertes „äh“ wird auch heute noch als rhetorisch negativ und unhöflich empfunden.“ Sprechwissenschaftler hingegen nennen die einsilbige Äußerung einen Verzögerungslaut, wollen es also als Wort gar nicht gelten lassen, gestehen ihm gleichwohl zu, ein paar wichtige Aufgaben zu erfüllen.

„Wer Äh sagt will auch B sagen“

Einerseits werde die Atmung unterstützt, denn die funktioniert beim Sprechen anders, als wenn wir Schweigen. Wir atmen beim Sprechen schnell und im Stile einer Schnappatmung ein, lassen die Luft während des Sprechens langsam und allmählich wieder hinaus. Ausatmen dauert länger als Einatmen. Um diese Sprechatmung beizubehalten, wird ein „äh“ eingeschoben. Andererseits werde dem Gegenüber signalisiert: die Rede geht weiter; wer „Äh“ sagt will auch „B“ sagen. Eine Sprechpause würde Gesprächspartner zur Erwiderung einladen. Doch damit nicht genug. Die Verlegenheitslaute geben dem Gehirn nicht nur Zeit, die Gedanken des Redners zu ordnen, sie dienen nachweislich auch dazu, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erhöhen.

In nahezu allen Sprachen

Eine amerikanische und ein britischer Wissenschaftler haben unabhängig voneinander festgestellt, dass das Textverständnis verbessert wird, wenn nach dem Äh-Sagen ein schwieriges Wort folgt. Die gefüllte Kunstpause erhöhe die Aufmerksamkeit und steigere so die Merkfähigkeit. Dieser Signalcharakter wurde auch in der Forschung über den Spracherwerb von Kindern bestätigt. Kinder interpretieren die „ähs“ und „ähms“ so, dass nun unbekannte Sachverhalte oder Vokabeln folgen. Wissenschaftler haben zudem herausgefunden, dass die Pausenfüller neben den expliziten Aussagen Informationen auf einer „zweiten Ebene“ enthalten: über den Gedankenfluss des Sprechenden und den Grad der Sicherheit, die der Sprecher selbst hinsichtlich seiner Äußerungen empfindet. Nicht überraschend: Nahezu alle Sprachen enthalten solche gedehnten Laute. Spanier artikulieren ein „Eh“, Briten ein „Uh“; in Schweden hört man ein „Hm“, in Japan ein “Anoo“ (nicht zu verwechseln mit dem schwäbischen „Hano“).
Als Großmeister im Gebrauch des Verzögerungspartikels gilt „Ähdmund Stoiber“, ehemals bayerischer Ministerpräsident; seine legendäre Transrapid-Rede hat ihm unter Kabarettisten den Ruf eines genialen Humoristen eingetragen. Er habe den Dadaismus zum „Gagaismus“ weiterentwickelt, lautete die ironisch-ätzende Kommentierung. Doch die Feststellung, er gerate deshalb ins Stocken, weil er so schnell denke, dass ihm seine Gedanken davon eilten, taugt nur vordergründig zur satirischen Volte und ist nicht ohne psycholinguistische Fundierung.

Entschleunigung der Rede

Während des Sprechens müssen die Gedanken in Echtzeit in Worte gefasst werden. Bearbeitungs- und Bedenkzeiten gibt es nicht. Nicht ohne Grund sind Mitschriften mündlich vorgetragener Texte ein Tummelplatz von sogenannten Überbrückungs- und Hesitationsphänomenen: sozusagen, Im Sinne von, sag ich mal, eigentlich, quasi, im Grunde genommen, letztendlich …und so weiter. Für den Sprecher haben sie den Vorteil, die Rede zu entschleunigen, hechelt doch das Sprachzentrum im Gehirn der Stimme hinterher, um die nachdrängenden Gedanken in eine sinnvolle sprachliche Form zu bekommen. Schon Kleist hatte sich in einem berühmt gewordenen Brief über „die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ geäußert. Jeder kennt den Effekt, redend neue eigene Einsichten in „statu nascendi“ zu beobachten und sich dabei selbst gelegentlich zu überraschen. Angesichts der vielfältigen Funktionen der Pausenfüller ist das rhetorische Ideal ihrer Vermeidung und Unterdrückung mehr als fragwürdig.

„Genau!“

Aufmerksame Beobachter der Sprachentwicklung haben im entschlossen vorgetragenen „Genau!“ einen Nachfolger des „äh“ ausgemacht; die Sprechpause habe jedoch mit der neuen suggestiven Formel einen Gestaltwandel erfahren, da legitime Verlegenheit übertönt werde. Insofern das „Genau!“ insbesondere die studentische Seminar-Rede regelrecht flutet, wird darin ein kritisches Signal gesehen. Zeige sich doch in der rhetorischen Figur, dass die durch Bologna-Reformen bewirkte Performanz-Orientierung die Erfahrung des Hypothetischen und die Würde des Zögerns in Erkenntnisprozessen verdränge. Wieder andere sehen im „Genau!“ einen vielerorts eingesetzten Bekräftigungspartikel, die als Stärke camouflierte Schwäche eines eher monologischen Sprechers.

Viel reden, wenig sagen

Was aber signalisieren uns die Zeitgenossen, die tollkühn und unmotiviert „keine Ahnung“ oder „was weiß ich?“ in ihre Sätze streuen? Understatement? Nichtzuständigkeit oder gar Wissen um das eigene Nichtwissen in sokratischer Manier? Vermutlich nichts von alledem. Bei übermäßigem Auftreten reden Sprachexperten auch von Marotten oder Sprachticks, die sich in bestimmten Peergroups herausbilden und epidemisch verbreiten. Deren verstärktes Auftreten sei einerseits Folge der durch neue Kommunikationstechniken ausgelösten Dauerkommunikation und andererseits der Unfähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen: viel reden, wenig sagen.

Red.: LLL/Bernd Eckhardt
Foto © contrastwerkstatt/fotolia.com

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Bernd Eckhardt

Bernd Eckhardt

Leiter Fachbereich Sprachen an der VHS Frankfurt bei VHS Frankfurt
Sprachexperte
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