„Kann Bildung zum Glück beitragen?“ Konrad Paul Liessmann leitet seine aktuelle Streitschrift mit dieser Frage ein, um sie bereits im Vorwort negativ zu beantworten: Die Verbindung von Glück und Bildung sei in unserer Zeit allen ohne Ausnahme verwehrt; Schuld daran sei das „Gespenst“ der Unbildung, dass sich in den Zentren der vermeintlichen Wissensgesellschaft eingenistet habe. Während „Halbbildung“ (Adorno) sich noch kritisch auf die Idee der Bildung bezog, ist die durch ihn bereits in einer früheren Veröffentlichung diagnostizierte Unbildung einerseits durch die Abwesenheit jeder normativen Idee von Bildung bei gleichzeitig durchaus intensivem Umgang mit Wissen gekennzeichnet. Es ist die angebliche Wissensgesellschaft selbst, die den Erwerb von Wissen anscheinend eher verachte, sei doch das Faktenwissen zum Unwort gestempelt, dagegen die Kompetenzorientierung zum Zauberwort erkoren worden. Durch die Idee, kompetent mit jedem beliebigen Wissen umzugehen, werde das Wissen selbst beliebig und entwertet.
Das der Ökonomie und nicht der Pädagogik entstammende Kompetenzkonzept verlange zudem, dass alles, was in einem Unterrichts- oder Lernprozess thematisiert werden kann, anwendungsorientiert und mit dem Nachweis der Nützlichkeit erfolgen soll: „Uns fehlt mittlerweile jede Vorstellung davon, dass es geistige Inhalte geben könnte, die Wert und Interesse für sich selber haben“. Der Wiener Hochschullehrer für Philosophie geißelt die Verheerungen, die „Bologna“ an den Hochschulen und das Reformkarussell an den Schulen angerichtet haben. Dabei demontiert er mit teils deftiger Polemik die Reformrhetorik der Bildungsexperten“: Die Ersetzung der Fachlichkeit durch Interdisziplinarität und das Postulat der Ganzheitlichkeit, den „Praxisfetischismus“ und die „Abschaffung des Lehrers“, die Glorifizierung der digitalen Informationsbeschaffungs-möglichkeiten und vieles mehr.
Er möchte die Universitäten als „Orte der Theorie, als Inseln des Geistes einer aus allen Fugen geratenen Welt reetablieren“ und wünscht sich für die Schule, sie als Ort einer pädagogischen Askese neu zu entdecken: Reizreduktion, Konzentration auf das Wesentliche, „weg mit allen Medien, deren bunte, rasch oszillierende Bilderwelt ja bekanntlich nicht nur Schüler am Denken hindert…“. Wer die gegenwärtigen bildungspolitischen Debatten in ihren Grundlagen verstehen und sich in der Kakophonie des Reformdiskurses orientieren will, kommt an diesem Autor nicht vorbei.
- Geisterstunde, Die Praxis der Unbildung, Eine Streitschrift, Paul Zsolnay Verlag Wien 2014
- Theorie der Unbildung, Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Piper Verlag GmbH München 2011Red.: Bernd Eckhardt