Ein Logbuch misst die Geschwindigkeit eines Schiffes, verzeichnet Kurs und Fahrtstrecke, hält relevante Ereignisse an Bord fest. Der Philologe Roland Kaehlbrandt will mit seinem „Logbuch Deutsch“ analog den Kurs (mit)bestimmen, den die deutsche Sprache einschlägt, und Entwicklungen aufzeigen, die Kursänderungen dringend nahelegen. Zugespitzt formuliert: Der Autor hat eine beherzte „Ruck-Rede“ in Buchform verfasst. Denn derzeit seien wir dabei, den Status des Deutschen als Hochsprache und seine Errungenschaften als Kultursprache zu verspielen, durch Geringschätzung und fehlerhaften Gebrauch. Er eröffnet seine Schrift aber nicht mit Kassandrarufen, sondern mit einem Loblied auf die deutsche Sprache und benennt wesentliche Vorzüge: Die unerschöpfliche Wortbildungsfähigkeit, die einen reichhaltigen Wortschatz (!) hervorgebracht hat, in der Allgemeinsprache, der Wissenschaft und vielen Fachsprachen; den elastischen Satzbau, der durch geringe Umstellungen vielfältige Nuancierungen ermöglicht. Ferner die Präzision im Ausdruck, die durch die vielen Verben mit Vorsilben ermöglicht wird und die Beziehungsfähigkeit des Deutschen, dass mit den zahlreichen Abtönungspartikeln (doch, bloß, wohl, etwa) die Sprache geschmeidig hält.
Aus der Realität des Sprachgebrauchs ist dagegen zu vermelden: mangelnde Sprachbeherrschung auch vieler Deutschstämmiger, nachlässige, am Mündlichen orientierte Schreibgewohnheiten, antrainiert in Emailverkehr und Internetblogs; eine hohe Quote von Analphabeten; die Klage von Gymnasiallehrern und Professoren über Grammatiklücken und Wortschatzdefizite von Schülern und Studenten ist Legion. Es fehle zudem der Kompass für gutes und richtiges Deutsch. Die geschlechter-gerechte Sprache sei eine sprachliche Bevormundung, die das politische Anliegen über die Natur der Sprache stelle. Das „Lockerdeutsch“ der “Hallo-Gesellschaft“ übertrage persönliche und private Register in die öffentliche Kommunikation, das „Imponier-Deutsch gewisser Eliten“ wiederum verwechsle Einfachheit mit Primitivität. Am Schwersten wiege jedoch die Auswanderung der Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aus der deutschen in die englische Sprache; mit zunehmenden Domänenverlust drohe ein Ausbaurückstand und in letzter Konsequenz der Verfall von Grammatik und Lexikon.
Kaehlbrandt appelliert daher an die Hochschulen, Deutsch als Verkehrssprache zu bewahren und statt „English only“ in immer mehr Studiengängen wenigstens die Zweisprachigkeit zu pflegen. Für Gastwissenschaftler und ausländische Studenten seine verpflichtende Deutschkurse einzurichten. In den Schulen sei eine hinreichende Anzahl von Deutschkursen erforderlich, Deutsch als Zeitsprache sollte für alle Lehrkräfte verpflichtend sein. Sprachbildung als Aufgabe der gesamten Sprachgemein-schaft bedürfe auch der Unterstützung durch stärkere Normierung, etwa durch das Institut für deutsche Sprache und die Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Und nicht zuletzt seien auch die Politiker gefordert, das Deutsche als gleichberechtigte Arbeitssprache in den Institutionen der Europäischen Union durchzusetzen sowie die Sprachverbreitungspolitik in der Welt zu überdenken. Dazu gehöre, die Deutsche Welle nicht zunehmend in englischer Sprache senden zu lassen.
Der Autor setzt sich wohltuend von nörgelnder Sprachkritik ab, die einen einmal erreichten Sprachstand konservieren möchte. Subtil werden das Verhältnis von Sprachwandel und Sprachnorm sowie die Rolle des Staates bei der Normierung in der Vergangenheit beschrieben, kontrastiv zur Situation in Frankreich. „Das Deutsche ist die Sprache des aufgeklärten Geistes und eines freiheitlich-optimistischen Lebensgefühls“, zitiert der Autor zum Schluss eine deutsche Abiturientin libanesischer Herkunft und verbindet gerade mit der Zuwanderung die Hoffnung, dass die deutsche Sprache wieder an Bedeutung gewinnt, als identitätsstiftendes Moment bei der Integration in die Sprach- und Wertegemeinschaft. Das „Logbuch“ besticht durch die gut lesbaren und beispielgesättigten Erörterungen vieler kontrovers gehandelter Themen und ist als Vademekum allen professionell mit der deutschen Sprache Befassten sehr zu empfehlen.