Oliver Baer, Von Babylon nach Globylon
IFB-Verlag, Paderborn, 2011
Der Suchbegriff „Globylon“ verweist mit den ersten achtzig Treffern in Google auf die Veröffentlichung von Oliver Baer unter dem eingangs genannten Titel. Trotz aller Vorsicht, die die undurchsichtigen Algorithmen der Suchmaschine gebieten, dürfte ihm die Vaterschaft für die Begriffsschöpfung angedient werden. Für was aber steht „Globylon“? In der Lesart Baers ist es das Scheitern des neuzeitlichen Versuchs, der Sprachenvielfalt Herr zu werden. Denn je mehr Menschen Englisch als Lingua Franca verwenden, desto mehr zerbröckelt es zu Varietäten. Das Projekt einer Sprache als einheitliches, universelles Ausdrucksmittel unterschiedlicher Kulturen muss scheitern – allein aus system-theoretischen Gründen. Denn, so der Autor: Ab einer kritischen Größe – ob in Natur oder Kultur –zerfällt ein System in Teile, bildet Subsysteme mit Eigendynamik. Im Falle des Englischen bildet das Standard American British Englisch mit zahlreichen Landessprachen derart viele Amalgame, dass die jeweiligen Sprecher auseinanderstreben, statt zusammen zu kommen.
Baer bietet als Lösung „Globisch“ (Globales Englisch) an, als den kulturneutralen Mittelweg. Und er steht damit nicht allein. Unabhängig von ihm haben nahezu zeitgleich zwei andere Autoren „Globish“ patentieren lassen, als eine vereinfachte und korrekte Englischvariante: mit beschränktem Basiswortschatz, ohne kulturell geprägte Redewendungen und einer abgespeckten Grammatik.
Der Diplom-Ingenieur Baer weiß, wovon er schreibt und spricht; mehr als ein Dutzend Jahre seiner Berufslaufbahn hat er im englischsprachigen Südafrika verbracht, in der Betriebsorganisation und im Marketing. Selbst mit nahezu muttersprachlicher Qualität des Englischen ausgestattet kennt er die Nöte und das Scheitern derjenigen bestens, die versuchen, mit den englischen Muttersprachlern auf Augenhöhe zu kommunizieren. Daher sein nur auf den ersten Blick kontra-intuitives Credo: Raus aus der weltweiten Intensiv-Anglisierung, den Schwerpunkt auf die Pflege der Muttersprachen legen, den globalen Kommunikationsbedarf mit Globisch bestreiten und wo nötig Spezialisten (Übersetzer, Dolmetscher) beauftragen.
Baers Botschaft lässt sich wie folgt umreißen: Ausgehend von dem Faktum, dass die Weltsprache nicht Englisch, sondern schlechtes Englisch ist, sei der Anspruch, dass ein gutes Englisch die Weltsprache sein könne, unrealistisch und verfehlt. Nur wenige Sprachprivilegierte (und Dolmetscher, Übersetzer) erlangten muttersprachliches Niveau, die Zielmarke des perfekten Englisch sei ohnehin Illusion. Die Erfahrung zeige ferner: Nur 4% der globalen Englischkommunikation findet zwischen „native speakers“ statt; deren Kommunikation mit Nicht-Muttersprachlern rufe durch kulturell geprägte Redewendungen vielfältige Missverständnisse hervor; funktionsfähiges Zweck-Englisch im Sinne von Globisch sei für den Geschäftsalltag in der Regel völlig ausreichend und bereits gang und gäbe – nur eben unbewusst und nicht völlig „regelkonform“. Als Konzernsprache sei Englisch vielfach gescheitert (siehe Daimler-Chrysler und die teure Trennung) und für den Export nicht nötig. Deutschland war auch ohne die allgegenwärtige Englisch-Offensive bereits Export-Weltmeister. Die Empfehlung und Erwartung des Autors: Wo Globisch an die Stelle der vergeblichen Bemühungen um die Hochsprache Englisch tritt, werden Reserven für die Muttersprache frei – und Baer meint damit alle, nicht nur die deutsche. Überhaupt ist ihm jegliche Deutschtümelei fremd. Als kosmopolitisch versierter Europäer, der selbst mehrere europäische Sprachen spricht (Französisch, Italienisch, Schwedisch, Tschechisch, Polnisch), weiß er, dass in diesen Vaterland und Muttersprache stets unterschieden wurden. „Ein Land, eine Sprache!“ war in der Mitte Europas niemals Realität. In die Verteidigung der Vielfalt der europäischen Sprachen führt er ein Argument ein, dass den häufig nur auf kulturellen Verlust zielenden Kritikern des „Angloholismus“ entgeht: dass eben diese Vielfalt sowohl ein Vermögensposten, als auch ein Ertragsfaktor darstelle. Geradezu euphorisch nennt er sie eine „Quelle unseres schöpferischen Beitrags zur Weltgemeinschaft, wesenhafter Bestandteil unserer Exportgüter und der damit verknüpften Dienstleistung.“ Dies bleibt nicht Behauptung. In vielen Beispielen aus der Wirtschaft wird illustriert, wie kreative Experten (Erfinder, Innovatoren, Kommunikatoren) sich selbst behindern, indem sie komplizierte Sachverhalte in einer anderen als ihrer Muttersprache behandeln; es fände nur die Hälfte der eigenen Denkfähigkeit Verwendung und die Möglichkeiten der Gesprächspartner im Austausch würden halbiert. Auch der jahrelange Rückgang der Patentanmeldungen in Deutschland wird in diesen Kontext eingeordnet. Statt auf ungenügendem Englisch zu radebrechen lohne sich der Einsatz von Übersetzern auf längere Sicht immer. Mit geringerem Aufwand für Englisch und mehr für Deutsch erreichten wir langfristig eine volks- und betriebswirtschaftliche Verzinsung, die allen zu Gute komme und die „linguistische Leisetreterei“ beende. Ein Argument auch der ungeheure ökonomische Vorteil, den die Anglophonen aus der Englisch-Dominanz ziehen, indem sie sich einerseits dem Spracherwerb entziehen können – durchaus zu ihrem kulturellen Nachteil – und andererseits ein enormer Ressourcentransfer für die Lernkosten des Spracherwerbs stattfindet, der pro Jahr in die Milliarden geht.
Ferner gelte es, der Vertreibung der europäischen Hochsprachen aus den wichtigsten Diskurs-Domänen Paroli zu bieten, zuvörderst in den Wissenschaften. Hier stelle sich zunächst ein Problem auf der Ebene der Veröffentlichungen, wenn ausschließlich auf Deutsch verfasste nicht, aber sämtliche in schlechtem Englisch verfasste Beiträge in relevante Datenbanken gelangten. Wenn neue Erkenntnisse nur noch auf Englisch publiziert würden und sich die Wissenschaft nach und nach von Deutsch verabschiede, verlöre dieses seine Terminologie bzw. der vorhandene Terminologie-Schatz werde nicht mehr ausgebaut. Daher dürfe man sich die Mühe der Wortbildung und Wortschöpfung nicht ersparen, um die deutsche Wissenschaftssprache zu erhalten. Ohnehin ist Baer ein Dorn im Auge, dass sich die Deutschen im europäischen Maßstab besonders in Richtung des Englischen verneigten. Nicht nur das der „airbag“ als „Prallsack“ in Deutschland erfunden wurde und das „Leibchen“ nur noch als „T-Shirt“ tragbar sei; insgesamt werde der Fortschritt offenbar daran gemessen, ob er in Englisch daher komme, wie man an der Übernahme von Begrifflichkeiten in der Computertechnologie sehen könne, bei der im europäischen Vergleich beschämend wenige einheimische Begriffe im Deutschen neu gebildet würden. Aber der Autor ist kein Sprachpurist, Anglizismen-Jagd ist seine Sache nicht, Entlehnungen bereicherten die Muttersprache durchaus; ihn stören die gedankenlos geborgten Wörter, für die es schöne deutsche Entsprechungen gäbe. Und weil überhaupt Oliver Baers Buch die Streitschrift eines Überzeugungstäters ist, für den es „gibst nicht“ nicht gibt, ist ihm auch zuwider, wenn von der „sich“ wandelnden Sprache die Rede ist. Diese wird verändert und daran möchte sich der Autor beteiligen, sich dem Sprachverfall des Deutschen – es geht nicht um Reinheit, die gab es nie – und einem Verlust an sprachschöpferischer Gestaltungmacht entgegenstemmen. Daher zieht er auch gegen Frühenglisch zu Felde, findet Argumente gegen Englisch als erste Fremdsprache und die grassierende Anglohysterie im deutschen Sprachraum. Aber definitiv auch, um das Hochenglisch vom Weltsprachenstatus zu befreien, damit die Engländer nicht zu den „Behinderten der Globalkommunikation“ würden und Vielfalt ebenfalls schätzen lernten.
Die Schrift von Oliver Baer ist Lesebuch und Lehrbuch zugleich, denn er hat auch ein 60-seitiges Kapitel „Globisch lernen“ (als Anleitung zum Selbststudium) beigefügt und eine Liste aller 1500 Basiswörter des Globischen. Darüber hinaus wird ein 40-seitiger Anhang mit teils ausführlichen Fußnoten geboten, die erhellende Zusatzinformationen liefern und der weiteren Recherche dienlich sind. Kritisch anzumerken ist, dass der Text (300 Seiten) nicht immer sehr übersichtlich strukturiert ist und sich einiges – allerdings in immer neuen Varianten und Bezügen – wiederholt. Dies wird aber überaus wettgemacht durch den beherzten Stil des Autors, der seinen Gegenstand kenntnisreich, farbig und durchgehend unterhaltsam präsentiert. Eine herausfordernde Lektüre, die nicht nur Nachdenklichkeit erzeugt.
Der Autor hat übrigens auch ein Buch über Solarthermie geschrieben…, aber das ist Physik und das bekommen wir erst in der nächsten Klasse.
„Von Babylon nach Globylon“ ist im IFB-Verlag erschienen und kostet 19,60€; es ist auch bei Kindle als E-Book erhältlich.